Die Erteilung der Décharge an den Verwaltungsrat gehört zu den Routine-Traktanden an der jährlichen Generalversammlung. Allerdings wird ihre Bedeutung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen gegen den Verwaltungsrat stark überschätzt.
Begrenzte Wirkung der Décharge-Erteilung
Mit der Erteilung der Décharge (oder Entlastung) im Sinne von Art. 758 OR erklären die zustimmenden Aktionäre, den Verwaltungsrat (oder andere erwähnte Organe) für die bekannten Geschäftsvorfälle zu entlasten, d.h. nicht verantwortlich machen zu wollen.
Bereits diese Formulierung zeigt, dass eine Décharge nicht umfassend gilt. Vorab kann sie überhaupt nur für Vorfälle erteilt werden, die bekannt sind bzw. ohne weiteres erkennbar waren. Gebunden an die Entlastung sind zudem auch nur jene Aktionäre, die der Décharge zugestimmt haben und sie gilt nur hinsichtlich jener Schäden, die der Gesellschaft selbst entstanden sind.
Entsprechend können also selbst jene Aktionäre, die einer Décharge-Erteilung zugestimmt haben, allfällige ihnen selber direkt entstandene Schäden dennoch weiterhin geltend machen. Aktionäre, die nicht zugestimmt haben, können trotz erteilter Décharge an einer Generalversammlung sowohl eigene wie der Gesellschaft entstandene Schäden einklagen. Schliesslich sind Gläubiger überhaupt nicht an den Décharge-Beschluss der Aktionäre gebunden.
Wenn man nun bedenkt, dass in den meisten Verantwortlichkeitsprozessen die Gläubiger im Konkurs einer Gesellschaft eine Haftung des Verwaltungsrats geltend machen, ist klar, weshalb man ohne weiteres behaupten kann, die Décharge-Erklärung werde überschätzt. Denn gerade in den häufigsten Konstellationen hat sie keinerlei Bedeutung. Daher können sich Verwaltungsräte auch mit erteilter Décharge nicht sicher vor Verantwortlichkeitsklagen fühlen.
Denkzettelfunktion der Décharge-Verweigerung
Doch welche Funktion verbleibt der Décharge-Erklärung somit überhaupt noch? Einerseits ist zumindest zustimmenden Aktionären die Geltendmachung von Schäden der Gesellschaft selber verwehrt. Andererseits hat die Décharge-Erklärung eine faktische Bedeutung erlangt: Organhaftungsprozesse sind aufwändig, kostspielig und komplex. Viele Entscheide des Verwaltungsrats, die sich im Nachhinein als falsch erweisen und die Auswirkungen auf den Gewinn der Gesellschaft und damit die Dividende haben, müssen nicht zu einer Haftung des Verwaltungsrats führen. Die Verweigerung der Décharge gibt den Aktionären aber zumindest die Möglichkeit, ihrem Unmut Luft zu machen. Insofern lässt sich sagen, dass selbst die Verweigerung der Décharge nicht zwangsläufig zu einer Verantwortlichkeitsklage führt.
Frist nicht verpassen!
Aktionäre, die einer Décharge-Erteilung nicht zugestimmt haben, müssen daran denken, dass sie eine allfällige Klage gemäss Art. 758 Abs. 2 OR innert 6 Monaten nach der Generalversammlung einleiten müssen.
Fortsetzung folgt
In einem der kommenden Beiträge werden weitere Aspekte der Décharge behandelt, z.B. wem man Décharge erteilen kann, für welche Periode der Entlastungsbeschluss gilt etc.
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