Im Zusammenhang mit den derzeit aktuellen Vorfällen z.B. bei Raiffeisen oder der Post, in welchen Geschäftsleitungsmitgliedern und Verwaltungsräten die Verletzung ihre Pflichten als Exekutivorgane vorgeworfen werden, stellen sich viele Fragen. Vorliegend wird der Frage nachgegangen, ob die übrigen Verwaltungsräte frei sind, gegen die potenziell Haftpflichtigen vorzugehen oder sogar verpflichtet sein können, beispielsweise eine Verantwortlichkeitsklage einzureichen, um sich nicht selber dem Risiko einer persönlichen Haftung auszusetzen.

Pflichten des Verwaltungsrats bzw. von Exekutivorganen

Ein Verwaltungsrat haftet als Exekutivorgan für Schäden, die als Folge von Pflichtverletzungen entstehen. Die Pflichten des Verwaltungsrats wiederum ergeben sich aus Gesetz, Statuten und Beschlüssen (vgl. auch Persönliche Haftung von Verwaltungsräten?).

Viele der Pflichten des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft (und damit indirekt beispielsweise auch von Geschäftsführern einer GmbH (vgl. Persönliche Haftung des Geschäftsführers einer GmbH), oder dem Verwaltungsrat einer Kreditgenossenschaft (vgl. Zur zivilrechtlichen Haftung von Organen der Raiffeisen) leiten sich aus der Generalklausel in Art. 717 OR ab, die vorsieht, dass die Exekutivorgane ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt ausüben und die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren müssen.

Zu den aus dieser Bestimmung abgeleiteten Pflichten gehören u.A.

  • die Sorgfaltspflichten,
  • die allgemeine Treuepflicht,
  • eine Schweigepflicht,
  • das grundsätzliche Verbot des Insich-Geschäfts,
  • ein Konkurrenzverbot,
  • das Verbot, Insidergeschäfte zu tätigen,
  • die Pflicht, sich nach dem von den Aktionären definierten Gesellschaftsinteresse auszurichten, was i.d.R. eine Pflicht zur Gewinnstrebigkeit beinhaltet,
  • die Gleichbehandlungspflicht.

Sorgfaltspflichten

Aus den Sorgfaltspflichten wiederum werden weitere Pflichten und Verhaltensanordnungen abgeleitet.  So muss ein Verwaltungsrat bei der Annahme und Führung seines Mandats Sorgfalt walten lassen. Er muss für eine geordnete Organisation der Gesellschaft sorgen. Nötigenfalls muss ein Verwaltungsrat auch Spezialisten zu Rate ziehen. Auch die Erhaltung des Vermögens der Gesellschaft, der Aktionäre und der Gläubiger gehört zu den Sorgfaltspflichten. So wurde durch das Bundesgericht beispielsweise entschieden, dass der Verwaltungsrat es auch vermeiden muss, unnötige Prozesse zu führen bzw. nur Prozesse zu führen, die im Interesse der Gesellschaft sind und nicht bloss im Interesse einer Aktionärsmehrheit.

Nach der hier vertretenen Auffassung lässt sich aus der Sorgfaltspflicht, insbesondere der Pflicht zum Erhalt des Gesellschaftsvermögens, nicht nur die Pflicht ableiten, unnötige Ausgaben zu vermeiden, sondern auch die Pflicht, Erträge zu generieren. Es wird wohl nicht bestritten werden können, dass es u.a. die Pflicht eines Verwaltungsrats ist, eine liquide Forderung geltend zu machen. So muss der Verwaltungsrat dafür besorgt sein, ein fälliges Darlehen zurückzufordern. Verzichtet er ohne guten Grund darauf, d.h. vergisst er es beispielsweise, so verletzt er dadurch seine Sorgfaltspflichten und kann für den Ausfall als Gesellschaftsschaden persönlich ersatzpflichtig werden.

Solange demnach eine reelle, erst recht aber wenn eine hohe Chance besteht, dass eine Forderung erfolgreich durchgesetzt werden kann, ist der Verwaltungsrat grundsätzlich verpflichtet, solche Forderungen auch durchzusetzen. Der mit der Durchsetzung der Forderung verbundene Aufwand sollte dabei sicherlich verhältnismässig sein. Solange aber diese Verhältnismässigkeit gewahrt ist, ist ein Verwaltungsrat verpflichtet, eine Forderung gegebenenfalls auch prozessual durchzusetzen.

Verantwortlichkeitsansprüche als Forderung der Gesellschaft

Verantwortlichkeitsansprüche unterscheiden sich nicht grundsätzlich von anderen Forderungen, insbesondere Schadenersatzforderungen der Gesellschaft. Wenn also ein Verantwortlichkeitsanspruch gegen einen Verwaltungsratskollegen oder ein ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats bzw. der Geschäftsleitung liquide ist d.h. die Erfolgsaussichten positiv sind, sodass auch ein vernünftiger Dritter in derselben Situation die Forderung geltend machen würde, ist nicht einzusehen, weshalb ein Verwaltungsrat auf die Durchsetzung verzichten könnte, ohne dadurch eine Sorgfaltspflichtverletzungen zu begehen und damit selber und persönlich haftbar zu werden.

Verzicht auf die Durchsetzung von Verantwortlichkeitsansprüchen

Eine persönliche Beziehung zum potenziell Haftpflichtigen ist kein ausreichender Grund, um auf die Durchsetzung von Verantwortlichkeitsansprüchen zu verzichten. Im Gegenteil würde das eher auf einen Interessenkonflikt des Betroffenen schliessen lassen.

Es ist aber durchaus denkbar, dass auch bei einer grundsätzlich liquiden Forderung aus geschäftlichen Gründen verzichtet wird, diese Forderung durchzusetzen. Möglicherweise  kommt man zum Schluss, dass beispielsweise die Reputation der Gesellschaft durch einen solchen Prozess mehr Schaden nimmt, als der mögliche positive Effekt bei erfolgreichem Vorgehen.  Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn ein solcher Prozess öffentlich ist. Der Umstand, dass für ein Verfahren anstelle eines ordentlichen Gerichts ein Schiedsgericht zuständig ist (vgl. Zur zivilrechtlichen Haftung der Organe der Raiffeisen) und damit der Prozess nicht öffentlich wäre, würde die Berufung auf ein Reputationsrisiko sicherlich nicht stärken.

Verzichtet ein Verwaltungsrat auf die Durchsetzung einer an sich liquiden Forderung, ist er gut beraten, diesen Entscheid bzw. die Gründe, die dazu geführt haben, detailliert zu dokumentieren. Die Abstützung des Entscheids auf Expertenmeinungen wird sicher auch helfen, den Verzicht nachvollziehbar zu machen.

Geschäftsentscheid – Business Judgment Rule

Zudem muss bei einem solchen Entscheid besonders darauf geachtet werden, dass die Voraussetzungen für die Anrufung der Business Judgment Rule eingehalten sind. Nur wenn der Entscheid auf einer angemessenen Informationsbasis sowie einem einwandfreien und frei von Interessenskonflikten basierenden Entscheidungsprozess beruht, gilt er als Geschäftsentscheid (vgl. Die „Business Judgment Rule“ – Richter als Manager) und kann vom angerufenen Gericht nur eingeschränkt überprüft werden.

Wenn Personen an der Entscheidungsfindung beteiligt sind, welche selber betroffen sein könnten und sich somit in einem Interessenskonflikt befinden, besteht das Risiko, dass dieser Entscheid im Rahmen eines Verantwortlichkeitsprozesses nicht als Geschäftsentscheid qualifiziert werden könnte. Dies wiederum würde dazu führen, dass das angerufene Gericht den Entscheid ohne Einschränkung überprüfen, d.h. sein Ermessen an die Stelle der entscheidenden Personen setzen könnte. Dies erhöht tendenziell das Haftungsrisiko der Betroffenen.

Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass tatsächlich Situationen entstehen können, in denen ein Verwaltungsrat verpflichtet ist, Klage gegen einen Verwaltungsratskollegen bzw. einen ehemaligen Kollegen zu erheben. Falls darauf verzichtet wird, eine grundsätzlich liquide Forderung durchzusetzen, muss dies gut begründet werden. Zudem sollte bei diesem Entscheid niemand, welcher ebenfalls potenziell betroffen bzw. haftpflichtig sein könnte, mitwirken.

Verzichtet ein Verwaltungsrat bzw. ein anderes Exekutivorgan ohne guten, objektiv nachvollziehbaren Grund auf die Durchsetzung einer solchen Forderung, setzt er sich dem Risiko aus, dafür selber persönlich haftbar zu werden.