Durch den Fall Raiffeisen Schweiz wird das Thema Verantwortlichkeit bei einer Genossenschaft wieder aktuell. Nachfolgend werden einige Aspekte dieser zivilrechtlichen Haftung der Organe der Genossenschaft näher beleuchtet.
Hinweis
Der Autor ist nicht in den Fall Raiffeisen involviert und kennt ihn nur aus den Medien. Der Artikel behandelt am Aufhänger des aktuellen Falls allgemeine Grundsätze des Verantwortlichkeitsrechts ohne dabei einzelne Personen be- oder entlasten zu wollen.
Bericht FINMA
Mit Medienmitteilung vom 14. Juni 2018 (nachfolgend „Medienmitteilung„) informierte die FINMA über den Abschluss des im Oktober 2017 gegen die Raiffeisen Schweiz Genossenschaft (nachfolgend „Bank“) eröffneten Verfahrens. Gemäss FINMA waren insbesondere die Beteiligung der Bank an Investnet AG, KMU Capital AG und Investnet Holding AG (nachfolgend „Beteiligungen“) und insbesondere die Rolle von Pierin Vincenz als ehemaligem CEO sowie seiner Beteiligung an der Investnet Holding AG Gegenstand der Untersuchung. Ebenfalls untersucht wurden die Kreditvergabe an den ehemaligen CEO und andere nahestehenden Personen.
Die Bank hat die von der FINMA erlassene Verfügung am 14. Juni 2018 anerkannt und mitgeteilt, dass sie Verbesserungsmassnahmen eingeleitet habe. Dabei sollen auch die Vor- und Nachteile einer Umwandlung der Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft geprüft werden.
Die von der FINMA festgestellten Vorkommnisse geben Anlass zu nachfolgenden allgemeinen Gedanken hinsichtlich einer zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat der Raiffeisen Schweiz.
Verantwortlichkeit bei Genossenschaften
Die Verantwortlichkeit bei der Genossenschaft ist grundsätzlich anders geregelt als bei der Aktiengesellschaft. Gemäss Art. 916 OR haften die Organe einer Genossenschaft demnach für Schäden, den sie durch Pflichtverletzungen verursachen, nur gegenüber der Genossenschaft. Gegenüber Genossenschaftern und Gläubigern haften sie lediglich, wenn sie gesetzliche Pflichten bei Vorliegen einer Überschuldungssituation verletzen (vgl. auch Wer kann gegen Organe klagen).
Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Regelung bei der Genossenschaft gilt allerdings insbesondere für Kreditgenossenschaften und konzessionierte Versicherungsgenossenschaften. Gemäss Art. 920 OR richtet sich die Haftung der Organe von Genossenschaften dieses Typs nach den Bestimmungen des Aktienrechts. Dabei handelt es sich um eine dynamische Verweisung, d.h. die jeweils gültigen Bestimmungen des Aktienrechts sind anwendbar. Auch in Art. 39 des BankG wird hinsichtlich der Verantwortlichkeit von Organen einer Bank auf die Bestimmungen des Aktienrechts, Art. 752 -760 OR, verwiesen.
Schaden ausserhalb eines Konkurses
Die typischen und häufigsten Verantwortlichkeitsfälle stehen im Zusammenhang mit dem Konkurs einer Gesellschaft. Organe werden für Sorgfaltspflichtverletzungen verantwortlich gemacht, die zu einem Schaden der Gesellschaft geführt haben, beispielsweise weil der Verwaltungsrat zu lange mit der Konkursanmeldung zugewartet hat. Man spricht vom sog. Fortführungsschaden.
Bei der Raiffeisen Schweiz könnte der relativ seltene Fall einer Schädigung der Gesellschaft vorliegen, welche zu einer Haftung der Organe auch ausserhalb eines Konkurses führen könnten. Die Medienmitteilung der FINMA gibt diesbezüglich nicht ganz klar Aufschluss. Sollte es aber der Fall sein, dass ein Organ im Rahmen eines Veräusserungsgeschäfts oder eines Kaufs von Beteiligungen einen Zwischengewinn gemacht hat und dadurch der Erwerb der Beteiligungen für die Bank verteuert wurde, könnte diese Differenz im Rahmen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit grundsätzlich geltend gemacht werden.
Auch die in der Medienmitteilung erwähnte Vergabe eines Blankokredits zu unüblichen Konditionen könnte – sofern dies zu einem Schaden der Bank geführt hat – im Rahmen des Gesellschaftsschadens ausser Konkurs zu einer Haftung der Organe führen.
Würde es sich bei der Bank um eine gewöhnliche Genossenschaft handeln, müsste die Geltendmachung eines solchen Schadens ausserhalb des Konkurses durch die Genossenschaft selber erfolgen. Bei einer Kreditgenossenschaft sind aber auch Genossenschafter klageberechtigt (vgl. Art. 920 OR i.V.m. Art. 754 ff. OR). Die Genossenschafter der Raiffeisen Schweiz sind ihrerseits wieder die einzelnen regionalen Raiffeisenbanken, welche selber genossenschaftlich organisiert sind.
Interessenskonflikte
In der Medienmitteilung der FINMA wird mehrfach darauf hingewiesen, dass es bei der Bank zu Rollenkumulationen und Interessenskonflikten gekommen sei. Solche Interessenskonflikte sind nicht per se Pflichtverletzungen, die zu einer Verantwortlichkeit führen. Allerdings können Entscheide, die in Interessenskonfliktsituationen gefällt worden sind, gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Rahmen einer richterlichen Beurteilung im Verantwortlichkeitsprozess vollumfänglich überprüft werden. Die potenziell haftpflichtigen Organe können sich also bei Vorliegen von Interessenskonflikten nicht wie sonst gestützt auf die sog. Business Judgment Rule darauf berufen, dass es sich um einen Geschäftsführungsentscheid handle, der richterlich nur zurückhalten überprüft werden kann. Das Gericht kann somit sein eigenes Ermessen an die Stelle des Geschäftsführungsinteressens stellen. Dies führt tendenziell zu einer Verschärfung der Haftung der betreffenden Organe.
Austritt aus dem Verwaltungsrat
Bekanntlich haben seit den in Frage stehenden Vorfällen einige Organe ihren Rücktritt erklärt. Weitere Rücktritte sind angekündigt. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Rücktritt vor einer Haftung nicht schützt, sofern allfällige Sorgfaltspflichtverletzungen während der Amtsdauer des entsprechenden Organs vorgefallen sind (vgl. Haftungsprävention bei Mandatsniederlegung). Stets zu beachten sind aber auch die Verjährungsfristen, insbesondere die 5-jährige relative Verjährungsfrist, welche grundsätzlich ab Kenntnis des Schadens sowie des Ersatzpflichtigen läuft.
Schiedsgericht
Gemäss den Statuten der Raiffeisen sind Rechtsstreitigkeiten über Angelegenheiten zwischen der Bank und ihren Organen nicht vor ein ordentliches Gericht, sondern vor ein Schiedsgericht zu bringen. Für die inhaltliche Beurteilung der Sachverhalte unter Verantwortlichkeitsaspekten hat die Zuweisung an ein Schiedsgericht keine Auswirkungen. Allerdings sind Schiedsverfahren im Gegensatz zu Verhandlungen vor ordentlichen Gerichten nicht öffentlich.
Fazit
Die Rechtsform der Raiffeisen Schweiz als Genossenschaft hat für die zur Diskussion stehenden Vorfälle kaum einen Einfluss auf die Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen. Es kommen ohnehin nicht die Bestimmungen für die gewöhnliche Genossenschaft, sondern die schärferen Bestimmungen der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit zur Anwendung. Es wird spannend sein zu sehen, welche Folgen die derzeit laufende Untersuchung unter der Leitung von Prof. Dr. Bruno Gehrig haben wird.
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